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Uralt und doch ganz Jung oder In Grafing steppt der Bär

Es ist kalt und regnerisch in Berlin und nur noch wenige Tage, bis der weihnachtliche Kaufrausch endlich ein Ende finden wird. Auf meinem Heimweg, dem regen Treiben des Prenzlauer Bergs entfliehend, im üblichen Getöse der Straßenbahnen und Autos und einem leuchtenden, blinkenden Lichtermeer, freue ich mich bereits auf das wärmende und ruhige Zuhause und sinniere vor mich hin. Links und rechts des Weges immer wieder kleine Läden, welche nach und nach weniger werden und sich langsam zu verlieren scheinen. Manchmal schwenkt mein Blick zum Licht eines Fensters und gleitet zurück auf den Asphalt.

Plötzlich muss ich stehen bleiben und schaue etwas ungläubig in das Fenster eines typischen Berliner Spätis, in Köln als Kiosk und im Ruhrgebiet als Trinkhalle tituliert.

Eine Wand aus Kartonagen mit der Aufschrift WILDBRÄU hat meine Aufmerksamkeit gewonnen und meine Gedanken versuchen zu verstehen, warum mich diese recht profane Nebensächlichkeit so fesselt.

WILDBRÄU, genau, da hatte mir doch jemand von erzählt. Eine spannende, junge Brauerei aus Bayern, die seit einigen Jahren in vieler Munde zu hören ist und recht frisch daherkommen soll.

Meine Neugier ist geweckt und schon befinde ich mich im Gespräch mit dem Spätiverkäufer „Das WILDBRÄU Hell wird hier gut gekauft und hat seine Stammkunden“. Zwischen den üblichen Verdächtigen derzeit angesagter Helle, wie Augustiner, Tegernseer oder Bayreuther steht dann auch eine Doppelreihe des mir unbekannten Bieres.

Ok, auch wenn es nicht mein liebster Bierstil ist, nehme ich mir eine Flasche des WILDBRÄU Hell mit und freu mich noch ein wenig mehr auf Zuhause.

Klar, ein gutes, frisches Helles beseitigt den Durst und fördert die Geselligkeit, aber Helles als Flaschenbier weitab der Region, wo es hergestellt wird, verliert meines Erachtens schnell an Geschmack, da die Biere für den Lieferweg bis in den Handel wertvolle Zeit fern des Biergenießers verbringen.

Anders bei diesem WILDBRÄU Hell, es schmeckt wirklich frisch, würzig, angenehm ausbalanciert hopfig und nach mehr.

Spätestens jetzt bin ich richtig neugierig und will mehr wissen.

Fakten:

Die Brauerei des Wildbräu befindet sich in Grafing bei München im Landkreis Ebersberg.

Grafing liegt östlich von München, hat ca. 12.000 Einwohner und ist in knapp 40 Minuten mit der Bahn von München zu erreichen.

Grafinger Wildbräu ist die drittälteste Brauerei Bayerns

Bisher dachte man, in Grafing würde seit dem Jahr 1616 Bier gebraut, doch mit der Entdeckung einer Urkunde im Bayerischen Hauptstaatsarchiv ist nun gewiss: 1060 ist das Gründungsdatum. Nur die Klosterbrauerei Weltenburg, welche sich auf das Jahr 1050 datieren lässt, weist eine längere Braugeschichte auf. Laut einer Urkunde aus dem 17. Jahrhundert soll die Klosterbrauerei Weihenstephan ebenfalls eine der ältesten Brauereien der Welt sein, da die dokumentierte Geschichte auf das Jahr 1040 zurückzuführen sei.

Diese Urkunde wird jedoch von manchen Historikern angezweifelt.

Wie auch immer man dazu steht, eines ist sicher, die Brauerei Wildbräu aus Grafing, ist seit dem Fund des Vertrages des Priesters Konrad mit dem Ebersberger Kloster, nachweislich eine der drei ältesten Brauereien der Welt. Bereits im Jahre 1205 erhielt das adelige Landgut Grafing das „Ius Tavernae“, das Schankrecht als Taverne. Seit nun 817 Jahren wird also ein Wirtshaus betrieben.

Als die Grafinger Ludwig IV von Bayern in der Schlacht bei Mühldorf 1322 gegen die Habsburger siegreich unterstützen, kam ihnen laut Legende eine besondere Ehre zuteil.

Nach der Schlacht bedankte sich Ludwig beim Grafinger Fähnlein: „Ihr habt stark und mutig wie die Bären gekämpft.“ Die Grafinger profitierten in den folgenden Jahren von einer großzügigen Steuerbefreiung und als sich Herzog Ludwig IV vollends durchsetzte, erst König und fünf Jahre später Kaiser wurde, übernahmen die Grafinger 1430 den Bären in ihr Stadtwappen.

Im 16. Jahrhundert siedelten sich in Grafing weitere kleine Brauereien an, welche der Stadt Wohlstand brachten. Im 19. Jahrhundert schließlich kam es zu großen Veränderungen. In nur 100 Jahren wurden Schritt für Schritt vier Brauereien zu einer zusammengefasst.

1857 wurde von einem Vorfahren des heutigen Bräus Gregor Schlederer eine Brauerei gekauft und die verbliebenen Brauereien übernommen.

Die Brauerei der Familie wurde in Wildbräu umbenannt. Außerdem wurde der aufrechte, mutige Bär Grafings zum Markenzeichen dieser ersten großen Grafinger Brauerei.

Kurz darauf treffe ich den Grafinger Bräu Gregor Schlederer, der nun in siebter Generation mit seinen gerade einmal 31 Jahren, den Brauereibetrieb 2018 von seiner Mutter übernommen hat. Diese führte nach dem Tod des Vaters für drei Jahre die Geschäfte. Die Brauerei eines Tages zu übernehmen, war schon immer Gregors Traum, auch wenn seine Eltern ihm freistellten zu tun, was er für richtig hielt. Schlederer studierte erst einmal Betriebswirtschaftslehre und schloss das Studium Brau- und Getränketechnik an der Technischen Universität Weihenstephan direkt daran an.

Wie er sagt, trieb es ihn dann erst einmal raus, um sich die Welt ein wenig anzuschauen und er arbeitete bei Brauerein wie Steamworks Brewing in British Columbia und der Brooklyn Brewery in New York, zudem absolvierte er noch ein Traineeprogramm bei Anheuser-Busch. Gregor sprüht vor Energie und neben der tiefen, ehrlichen Verbundenheit mit der Region, spürt man seine Freude und Leidenschaft für Bier bei jedem Wort.

„Ich habe ein sehr gutes Team aus 18 Mitarbeitern, auf die ich mich bestens verlassen kann und Johannes, unser Braumeister ist mit seinen 24 Jahren eine wichtige, treibende und charakterstarke Persönlichkeit. Wir sind halt eine kleine, moderne, geile Brauerei.“

Der Großteil der Biere wird in einem 30-Kilometer-Radius um den Kirchturm verkauft. Über ein Drittel der Gerste wird selbst angebaut und der Rest kommt aus der direkten Umgebung. Der Hopfen stammt aus der Hallertau, was Regionalität und kurze Lieferwege verspricht.

Trotz des sehr jungen Teams versteht sich Wildbräu als urbayerisch und fokussiert sich seit 2018 darauf frisches Bier in der Region zu verkaufen. Bis 2015 war die strategische Ausrichtung des Absatzmarktes noch etwas anders aufgestellt, denn es wurde versucht bayerisches Bier in den Ballungszentren Deutschlands und im Ausland zu verkaufen. Absatzstärkstes Bier mit 80% des Ausstoßes war der Meistersud, ein kräftiges, würziges Bier.

Für Gregor und Johannes ist die Qualität des Bieres ein wesentlicher Bestandteil und entscheidend dafür ist eben auch die Frische des Bieres, denn jeder Monat zählt und nimmt Einfluss auf den Geschmack. Somit wurde durch eine Neuausrichtung des Strategieplans die Fokussierung und Optimierung des Hellen in Angriff genommen. Das Helle war bis zu Georgs Übernahme der Brauerei mit gerade einmal 10 % der Ausstoßmenge, ein noch wenig gepflegtes Pflänzlein, was eigentlich eher untypisch für eine regionale Brauerei ist. Die junge Crew um Schlederer wagten im Grunde einen Neustart. „Ein fast 1000jähriges Startup“, wie der Grafinger Bräu treffend sagt. Der Erfolg gibt Wildbräu recht, denn bereits 2019 war das Helle das absatzstärkste Bier der Brauerei und hat bis heute eine Mengensteigerung von etwas mehr als 120% erreicht. Tendenz steigend.

Geschuldet ist dies sicherlich auch dem jungen Braumeister Johannes Hartwig, welcher als bester Braumeister seines Jahrgangs mit viel Ambitionen an den Bieren arbeitet und immer wieder neue Ideen einbringt.

Seine Idee war es auch am World Beer Award in London teilzunehmen. Dieser Wettbewerb gilt in der Brauerszene als einer der seriöseren bei dem eine Auszeichnung keinen falls garantiert ist. Ursprung der Idee war die Qualitätssicherung, welche durch die erhaltenen Bewertungen hätte verbessert werden können.

Doch ähnlich der Geschichte von David gegen Goliath, konnte Wildbräu unter hunderte Brauereien mit tausenden Bieren aus der ganzen Welt, gleich zwei Preise gewinnen.

Der World Beer Award Gold Gewinner ist das Wildbräu Festbier, welches üblicherweise auf dem jährlich zelebrierten Grandauer Volksfest ausgeschenkt wird. Schon in den vergangenen Jahren hatte sich angedeutet, dass dieses Bier Potential in sich trägt, da es immer häufiger zu Hamsterkäufen kam und dadurch zu Engpässen auf dem Volksfest. Da das Grandauer Volksfest in den letzten beiden Jahren nicht stattfinden konnte, wurde das Festbier komplett in Flaschen abgefüllt und war dennoch in kurzer Zeit vergriffen. Seither gibt es das Lieblingsbier von Georg Schlederer nun auch ganzjährig. Es soll zukünftig als "Heimatbier" etabliert werden. Der zweite Gewinner mit Silber ist der deutlich schwerere Meistersud, welcher eine Sorte gegen den Trend hin zum leichten Bier ist. Der Meistersud, so Schlederer, "schmeckt wie ein Laib Brot".

Eine Frage allerdings ist noch offen, denn wie kommt das Wildbräu Hell nach Berlin, wenn doch nur direkt ab Brauerei verkauft wird?

„An einem Sonntag stand ein Ukrainer, ca. 2 Meter groß mit Übersetzer an der Brauerei und wollte eine private Führung haben. Da ich gefühlt wöchentlich eh fünf Brauereiführungen mache, war das eine entspannte Sonntagsbeschäftigung und nach vielen Fragen verschwanden die beiden wieder.

Zwei Wochen später tauchte der Ukrainer mit einem eigenem LKW auf und wir mussten diesen bis zum letzten Millimeter mit Wildbräu Hell beladen. Seitdem kommt er fast alle zwei Wochen und bringt das Bier nach Berlin, denn viele Spätis werden durch Ukrainer betrieben und der Bär als Logo des Wildbräu scheint in Berlin die Nachfrage zu steigern. Wir haben sogar extra Kartonagen anfertigen lassen, damit unser Leergut in der Region bleiben kann. Die Berliner profitieren natürlich auch, denn das Bier ist immer frisch“, so Schlederer.

Na, da habe ich mich ja nicht getäuscht.

 

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