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Auf ein Weizen

Wenn im Frühling die ersten warmen Tage den nahenden Sommer ankündigen und die wärmenden Sonnenstrahlen wie Balsam auf Körper und Geist wirken, erwächst Frohsinn, Elan und Schwung, neue Lebenskraft füllt jede einzelne Zelle.

Mit diesen ersten Sonnentagen assoziiere ich umgehend eine bildhafte Vorstellung: Ein frisches Weißbier im Biergarten.

Diese Form der Vitalität, diese Lebhaftigkeit und Begeisterung, dieser Schwung und die Munterkeit, all dies verbindet sich für mich mit dieser Fantasie.

Das Klischee des typischen Bayern in Lederhosen und Janker, unter Kastanienbäumen sitzend ein erfrischendes Glas Hefeweizen trinkend, hat sich bereits international etabliert.

Was aber ist so Besonderes am Weizenbier und am Biergarten?

Um darüber zu sinnieren, bedarf es natürlich einiger Weißbiere und die passenden Örtlichkeiten, vielleicht auch einen Hauch von Zeitlosigkeit und Philosophie.

Nach Gerste ist Weizen die zweitälteste Getreideart und eines der wichtigsten Braugetreide der Welt. Die ersten Weizenarten waren Einkorn und Emmer. Die ältesten Nacktweizenfunde sind fast 10.000 Jahre alt.

Etymologisch leitet sich das Wort Weizen vom „weißen“ (hellen) Mehl und der hellen Farbe der Weizenfrucht ab. Die Herstellung von Bier mit Weizen erfolgte bereits vor Jahrtausenden in Sumer,  Babylon und Ägypten. Weizen kam vermutlich während der Jungsteinzeit vor etwa 7.000 Jahren nach Europa, zunächst in den Mittelmeerraum, wo er in der Antike von den Römern angebaut wurde.

Erst im 11. Jahrhundert konnte sich Weizen auch in Mitteleuropa durchsetzen.

In Europa war es bis in das späte Mittelalter üblich, sämtliche Getreidearten zum Brauen zu verwenden – somit, falls lokal vorhanden, auch Weizen.

Am 23. April 1516 wurde durch den bayerischen Herzog Wilhelm IV. und seinen Bruder Herzog Ludwig X. aus dem Haus Wittelsbach eine Urkunde mit einem Gesetzestext herausgegeben, der zunächst als Bayerisches Reinheitsgebot und seit 1906 allgemein als Deutsches Reinheitsgebot bezeichnet wurde.  Die Urfassung legte fest, dass Bier nur aus Wasser, Gerstenmalz und Hopfen gebraut werden darf.

Zum einen sollte das Gesetz die Menschen vor überzogenen Bierpreisen schützen, zum anderen den Einsatz des für die Versorgung der Bevölkerung mit Brot bedeutsamen Brotgetreides Weizen zur Bierproduktion ausschließen.

Zudem sollte die Zugabe von Zutaten verhindert werden, die dem Bier zwar eine gewisse Würze, Vollmundigkeit oder berauschende Wirkung verliehen, jedoch als heidnische Kräuter mit unchristlicher Wirkung galten.

Den Obrigkeiten und Instanzen ging es darum, durch entsprechende Verordnungen die Qualität des Bieres, damals ein Hauptnahrungsmittel der Bevölkerung, zu verbessern.

Bereits in älteren, lokalen Herstellungsvorschriften findet sich das Hauptmotiv, die Menschen vor gefährlichen, giftigen, gesundheitsschädlichen Zutaten zu schützen (z.B. Augsburg 1156, Nürnberg um 1305, Weimar 1348, Weißensee/Thüringen 1434, München 1363).

Im übrigen Heiligen Römischen Reich wurde allerdings weiterhin auch mit Weizen gebraut. In Hamburg wurde 1526 dunkles Weizenbier für die Hanse noch von 531 Brauereien produziert. In Westpreußen und Posen war das Grätzer, ein mit 100 % Weizen gebrautes Bier, sehr bekannt. Auch Bierstile wie das Schöps aus Breslau, die Gose aus Leipzig oder die Berliner Weiße verwendeten einen hohen Anteil an Weizenmalz.

Trotz des Bayerischen Reinheitsgebot erhielt 1548 der Freiherr von Degenberg das Privileg zugesprochen, nördlich der Donau Weizenbier zu sieden. Dadurch konnte der bayerische Herzog Wilhelm IV. die Degenberger näher an sich binden, denn die Landeshoheit über dieses Gebiet war damals noch umstritten. Als 1602 das Geschlecht der Grafen von Degenberg im Mannesstamm ausstarb, fiel das Privileg zum Weizenbierbrauen an den bayerischen Herzog Maximilian I. zurück.

Daraufhin bauten die Wittelsbacher ein stabiles Weißbiermonopol auf, das sogenannte „Weißbierregal“. Sie gaben – gegen Geld, Braulizenzen an Brauer heraus, die dann vorgeschriebene Mengen Weißbier produzieren durften und sie gründeten dafür selbst im ganzen Land Weißbierbrauereien.

Die Brauerei Schneider Weisse in Kehlheim ist eine jener Brauereien, die vom Wittelsbacher Kurfürst Maximilian I 1607 gegründet und 1928 von der Familie Schneider gekauft wurde.

Übrigens wurde nur 200 km nördlich von Kehlheim, 10 km südwestlich von Kulmbach eine keltische Bieramphore als ältester Beleg für Weizenbierbrauen in Europa gefunden.

Auch die Ursprünge des modernen Weizenbieres sind nach derzeitigem wissenschaftlichem Stand in nächster Nähe Kehlheims im Grenzgebiet von Böhmen und dem Bayerischen Wald zu finden.

Beim modernen Weizen- oder Weißbier handelt es sich um ein obergäriges Bier, das mit obergäriger Hefe aus Weizenmalz (über 50 %) unter Mitverwendung von Gerstenmalz hergestellt wird.

Die obergärige Hefe unterscheidet sich von untergäriger Hefe z.B. durch ein anderes Bild der Hefezellen und durch den Auftrieb der Hefe, die im Verlauf der Gärung in den Gärgefäßen an die Oberfläche des entstehenden Bieres steigt. Daher stammt auch der Begriff obergärig.

Alle Weizenbiere sind kohlensäurereich, rezent und verfügen über ein typisches Aroma mit großer Geschmacksvielfalt. Die würzigen Phenole als ein Gär-Nebenprodukt sind erwünscht und tragen entscheidend zum Geschmacksprofil bei.

Die Nachgärung und Ausreifung der Weizenbiere können unterschiedlich erfolgen: Entweder findet diese in der Flasche oder in Tanks mit einer mehr oder weniger starken Hefetrübung der fertigen Biere oder in besonderen Tanks mit anschließender Filtration statt. Im letzteren Fall ist das fertige Bier dann kristallklar und wurde früher als Champagnerweizen bezeichnet.

Doch ebenfalls nicht weit entfernt, in der Oberpfalz nimmt im 15. Jahrhundert die Geschichte der untergärigen Biere ihren Anfang. 1539 wird in der bayerischen Brauordnung festgelegt, dass nur zwischen Michaeli (29. September) und Georgi (23. April) untergärige Biere gebraut werden dürfen. Um bis zur nächsten Brausaison nicht ohne untergäriges Bier zu sein, braute man im März ein besonderes, haltbares Bier, das Märzen. Es wurde in tiefen Felsenkellern gelagert. Wenn möglich, wurden diese mit Natureis bestückt. Diese Eisblöcke wurden meist aus nahe gelegenen Flüssen oder dem brauereieigenen Teich entnommen.

Um diesen Keller und dessen Zugang vor starker Sonneneinstrahlung zu schützen, pflanzte man Rosskastanien darüber, die dank ihrer großen Blätter reichlich Schatten spendete, mit ihren flachen Wurzeln jedoch keine Gefahr für die Kellerdecke darstellte.

Eher beiläufig entwickelte sich so der heute typische bayerische Biergarten bzw. der fränkische Bierkeller. Er entstand aus dem Ausschank von Bier durch den Brauer aus einem Bierkeller ohne das für den Betrieb einer Schänke erforderliche Krugrecht. Auch heute noch gehören zu dessen vertrauter Optik schattige Kastanienbäume.

Mit der Erfindung der Kältemaschine beginnt der Triumphzug der untergärigen Biere. Allen voran das Helle und das Weizenbier verliert immer mehr an Bedeutung.

Die obergärige Brauweise war bis zur Erfindung der Kältemaschine durch Carl Linde im Jahr 1876 weit verbreitet. Selbst in Bayern, wo dank kalter Winter über weite Teile des Jahres die Erzeugung untergäriger Biere möglich war, war diese Brauweise die einzige Möglichkeit, auch in den Sommermonaten Bier zu brauen. Doch zu Beginn des 20 Jahrhunderts war diese fast in Vergessenheit geraten. Noch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Anteil, der vom gesamten bayerischen Bierausstoß auf Weizenbier entfiel, bei unter 3%.

Erst 1965 setzte die Renaissance des Weizenbieres ein und seit 1994 ist das Weizenbier in Bayern erstmalig ausstoßstärkste Biersorte.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit für ein Weizenbier, um darauf anzustoßen, dass die Entstehung der Biergärten den untergärigen Bieren zu verdanken ist. Denn der Biergarten und das Weizenbier sind heute untrennbar miteinander verbunden, was dem obergärigen Weizenbier zu neuer Blüte verholfen hat. So verbinden sich Dinge in Zeit und Raum und welche Stadt würde sich für ein weiteres Weizenbier mehr anbieten als Ulm.

Zum einen findet sich hier die höchste Kirche der Welt, das Ulmer Münster, hier kann man sich angemessen für diesen wundersamen Umstand bedanken.

Die Donau, welche Ulm und Neu-Ulm voneinander trennt und doch in der gemeinsamen schwäbischen Kultur verbindet ist ein weiteres Symbol wie Dinge zusammenfinden, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht zueinander gehören. Natürlich denkt man bei Ulm an Albert Einstein, der hier geboren wurde, relativ kurz hier lebte, aber was bedeutet da schon relativ. Denn eines ist sicher, aus relativistischer Sicht sind weder Raum noch Zeit absolut, sondern untrennbar miteinander verknüpft und abhängig vom jeweiligen Bezugssystem.

In meinem Falle ist dieses Bezugssystem das Weißbier und der Biergarten. Nirgendwo vergisst man die Gegenwart so schön wie bei einem Weißbier im Ulmer Fischerviertel.

Und da man bei ausreichend Zeit mit einem guten Weißbier auch genügend Raum für Träumereien hat, freue ich mich auf die weitere Entwicklung des traditionsreichen Bierstils Weizenbier, denn erste Einflüsse der amerikanischen Craft Beer Bewegung machen sich bereits in diesem klassischen Genre bemerkbar.

Wissenwert

Die Bezeichnung "Weißbier" beruht auf zwei verschiedenen Eigenschaften, die das Weißbier von anderen Biersorten unterscheidet.

Zum einen wurde Weißbier zunächst nicht dafür verwendet, die verwendete Getreideart beim Brauvorgang hervorzuheben, sondern lediglich um das Bier farblich von anderen Bieren zu unterscheiden.

Früher gab es sogenannte Schwarz-, Rot- und Braunbiere, die allesamt Gerstenmalz als Grundlage hatten und heute meist als "Dunkle Biere" verkauft werden. Im Gegensatz zu diesen Biersorten wurde das Weißbier aus einer Mischung von Weizen- und Gerstenmalz gebraut, wobei mindestens zur Hälfte Weizenmalz verwendet wurde.

Erst als die Pilsner Brauart entwickelt wurde und dadurch andere helle Biere entstanden, wurde die Bezeichnung "Weißbier" unabhängig von der Farbe für alle Weizenbiere übernommen. Zudem wurden die verschiedenen Gerstenbiere ab diesem Zeitpunkt entweder als hell oder dunkel eingeordnet.

Zum anderen geht der Begriff "Weißbier" auch auf dessen Brauprozess zurück. Für das Brauen von Weißbier wird obergärige Hefe verwendet, die während des Gärens Stück für Stück nach oben wandert und dort eine weiße Schicht erzeugt. Aufgrund dieser markanten weißen Schicht wurde das Bier als "Weißbier" bezeichnet.

So sind Weizenbier und Weißbier heute Synonyme. Insofern ist es auch keineswegs ein Widerspruch, wenn man heute ein dunkles Hefeweizenbier gelegentlich als “Schwarze Weiße” bezeichnet.

 

 

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